29. Kapitel: Die Verschwörung, der Sanhedrin

Fürchtet euch nicht vor denen, die wohl den Leib töten, aber die Seele nicht töten vermögen. (Matthäus 10:28)

Der Sanhedrin war die höchste und mächtigste religiöse Behörde der Israeliten in Palästina. Er setzte sich aus dreißig Rayis Rabbis zusammen. Sie waren Pharisäer und Schriftgelehrte, die vom vorsitzenden Rayis Rabbi persönlich ausgewählt worden waren. Fünfundzwanzig dieser Rayis Rabbis waren Berater, fünf waren Richter. Der Sanhedrin folgte strikt dem Mosaischen Gesetz, nach der Schrift und nach der Überlieferung, – insbesondere, wenn es seinen Zwecken diente.

Die Richter des Sanhedrin hatten die Macht, über Israeliten, die gegen das Mosaische Gesetzt verstießen, die Todesstrafe – durch den Strang, durch Steinigung oder Kreuzigung – zu verhängen. Fünfzig Srafvollzieher waren ernannt. Sie hatten die Urteile der Richter zu vollziehen.

König Herodes hatte dem Sanhedrin hundert bewaffnete Männer. Schwert- und Speerträger, überlassen, die unter der Befehlsgewalt des Sanhedrins standen.

Der Sanhedrin hatte seine Spione überall, sogar im Königspalast und im Palast des römischen Statthalters. Die Spione lieferten schriftliche Berichte über alle Vorkommnisse, die ihnen verdächtig erschienen. Fast alle Israelitischen Rabbis waren Spione. Die Essener, welche der Sanhedrin als Ketzer betrachtete waren eine bevorzugte Zielscheibe und litten schwer. Der römische Statthalter hatte seine eigenen Spione, zumeist Griechen und Israeliten, in ganz Palästina.

(Seite 170) Am Tage nachdem Joshua Eliezar von den Toten auferweckt hatte, berichtete der Israelitische Rabbi, der Augenzeuge des Wunders geworden war, dem Sanhedrin den Vorfall in allen Einzelheiten.

Kaiaphas, der vorsitzende der Rayis Rabbis des Sanhedrin, las den Bericht mit zunehmender Wut. Er hatte schon zu viele ähnliche Berichte über die Lehren und das Heilen dieses Essener Rabbi Joshua gesehen. Er berief noch am gleichen Tag eine Sitzung des Sanhedrins ein.

Unfähig, seinen schwelenden Zorn zu verbergen, stand Kaiaphas auf und sagte zu den Beratern und Richtern: „Ehrwürdige Rayis Rabbis, dieser junge Essener Joshua wird ein echter Dorn in unserer Seite und er stellt für unsere Pläne eine ernsthafte Gefahr dar. Vor zwei Tagen hat dieser ketzerische Rabbi, der Diener des Erzdämons Beelzebub, in Bethania den toten Körper von Eliezar aus dem Grab, in dem er schon vier Tage gelegen hatte, auferstehen lassen. Eliezars Tod war ganz bestimmt Alahas Wille. Mit Beelzebubs Vollmacht und Einverständnis hat er die Seele von Eliezar Aus Gehenna (Hölle) zurückgerufen.

Das ist nicht sein erstes Vergehen. Dieser verfluchte Erzdämon hat schon andere Seelen aus Gehenna zurückgerufen. Ich habe hier einen detaillierten Bericht von unserem Rabbi in Nain, der einen toten Jungen zum Begräbnis begleitete, als sich dieser Joshua einmischte. In panischer Angst hörte der Mann, wie der Essener Rabbi der Seele des Jungen befahl, in den Köper zurückzukommen. Und ihr habt von der Tochter Jaïrus, des Vorstehers unserer Synagoge in Yerushalayim, gehört, die auf gottlose Weise vom Tode zurückgeholt wurde. Wenn der Wille Alahas den Tod einer Person bestimmt, mit welchem Recht bricht dieser Erzdämon Alahas Gesetz?

Es ist für uns nichts Neues, dass er den Dämonen Befehle erteilt. Wir haben viele Berichte, wonach er den Dämonen Befehle erteilt. Wir haben viele Berichte, wonach er den Dämonen befiehlt, die von ihnen Besessenen zu verlassen. Vor vierzehn Jahren, als mein Schwiegervater, der Rayis Rabbi Annas, den Vorsitz über den Sanhedrin führte, hat er von einem Fall gehört, der sich im Lande der Gadarener zutrug. Dieser Erzdämon hatte einer Legion von Dämonen befohlen, den Körper eines Besessenen zu verlassen und in eine Herde Schweine einzugehen. Eine große Zahl der Schweine, die nicht gewillt waren, die Dämonen in Ihren Körpern aufzunehmen, sprang über eine Klippe in den See und ertränken.

Die Besitzer der Schweine waren empört. Einige von euch werden sich erinnern, dass wir uns damals entschlossen hatten, uns dieses Mannes zu entledigen. Die Richter hatten einstimmig zugestimmt, die Vollstrecker beauftragt, ihn heimlich zu verhaften und zu Tode zu steinigen. Fünfzehn unserer Männer verhafteten ihn in Nazareth, wo er damals lebte und behauptete, Alahas Sohn zu sein. Er war einfach entschwunden, als sie ihn über die Klippe werfen wollten, Kurz darauf hatte er Nazareth verlassen und lebt seither in K’far Nahum.

Zugegeben, er ist ein sehr erfolgreicher Heiler; es ist jedoch nur seine Macht über die Dämonen, die diese Wunder bewirkt. Wir haben aber ein noch viel ernsteres Problem und es betrifft seine Lehren. Sie stellen eine echte Gefahr für unsere Pläne dar, die Römer eines Tages aus diesem heiligen Ort zu vertreiben. Wir kennen die Römer, sie sind unsere Feinde, Eindringlinge und arrogante Eroberer. Er behauptet jedoch, dass sie unsere Brüder sind, Kinder Alahas. Der Mann ist verrückt. Unsere Spione fragen ihn, ob es richtig und gerecht sei, Cäsar Steuern zu zahlen, und er antwortet hinterlistig, wir sollen unser Geld, das Cäsar zusteht, Cäsar geben und Alaha, was Alaha zusteht.

Er lehrt – ich habe es schriftlich von unseren Spionen:<Liebet jene, die sich eure Feinde nennen>, als ob er keine Feinde hätte. <Wer dich auf die Wange schlägt>, sagt er, <dem halte auch die andere hin>. Ist dies nur Wahnsinn? Verlangt er damit nicht unsere Unterwerfung unter die römische Obrigkeit?

Er hat dem Diener eines römischen Zenturios in K’far Nahum geheilt. Der Zenturio, unser Feind, hat sich als Freund der Israeliten ausgegeben. Er hat ihnen sogar eine Synagoge in einem Dorf in der Nähe von K’far Nahum gebaut und selbstverständlich haben sich die dummen Fische ködern lassen.

Dieser Joshua hat viele Römer geheilt. Am Tage bevor er Eliezar von den Toten auferweckte, heilte er einen römischen Edelmann, der wegen eines Schlangenbisses im Sterben lag. Die Ehefrau des römischen Statthalters und ihre Nichte und ihr Neffe waren dabei. Sie küssten seine Hand und erhielten seinen Segen. Er sprach zu ihnen auf Lateinisch, so dass der Diener, unser Spion, kein Wort verstehen konnte.

Er nennt sich Mshiha und Beni Alaha und die Essener glauben ihm. Stellt euch die Frage, könnte unser Mshiha, der Erwartete, ein ketzerischer Essener sein? Und doch folgen ihm viele Israeliten nach, weil sie die Wunder gesehen haben, die er wirkt, und glauben wie die Essener, dass er der Mshiha, ein Mann Alahas sei.

(Seite 171) Dieser junge Essener Rabbi, dieser Erzdämon, ist für unsere Pläne eine ernsthafte Gefahr. Wir müssen uns seiner so rasch wie möglich entledigen. Ich werde euch sehr bald wieder zusammenrufen, damit wir unser Vorgehen planen. Ich denke, dass wir ihn kreuzigen sollten. Und ich denke, dass wir auch Eliezar still und heimlich töten müssen. Diese Sitzung muss unter uns geheim gehalten bleiben. Wir wollen ihn nicht verscheuchen, ehe wir ihn verhaften. Gibt es Einwände gegen meinen Beschluss, diesen Feind unserer Sache zu zerstören?“

Es gab keine Einwände. Alle Richter waren mit Kaiaphas einverstanden und der größte Teil der Berater auch, obwohl einige ihr Einverständnis nur durch Stillschweigen gaben. Am nächsten Tag kam einer der Berater des Sanhedrin, ein gutherziger Rayis Rabbi, ein Freund des Essener Rayis Rabbi Ephraim heimlich in der Dunkelheit in das Essener Bistum. Ein Jahr zuvor hatte Joshua seinen Bruder von Epilepsie und Lähmungserscheinungen, unter denen er viele Jahre gelitten hatte, geheilt. Joshua hatte auch seine Schwester von einer chronischen und sehr schmerzhaften Hautkrankheit geheilt.

In Joshuas Gegenwart erzählte der israelitische Rayis Rabbi, was in der Sitzung des Sanhedrin zur Sprache gekommen war. „Ehrwürdiger Rayis Rabbi Ephraim“, sagte er, „mein lieber Freund, und auch du, mein lieber Joshua. Ich bin gekommen, um euch zu warnen. Das Leben von Joshua und das Leben von Eliezar sind in großer Gefahr. Lieber Joshua, letztes Jahr hast du meinen Bruder und meine Schwester vollständig geheilt. Beide sind bei guter Gesundheit. Ich könnte nicht länger ruhig leben, wenn ich es unterlassen hätte, dich rechtzeitig vor der Verschwörung gegen dich zu warnen, um dir und Eliezar Zeit zum Fliehen zu geben.

Kaiaphas ist ein grausamer und unbarmherziger Mann. Nicht nur Essener, auch viele Israeliten haben unter ihm gelitten. Viele römische Soldaten und persönliche Feinde von Kaiaphas sind von seinen umherziehenden Banden berüchtigter Krimineller des Nachts umgebracht worden. Du musst mir glauben, was ich dir sage, Joshua, ich setze mein eigens Leben aufs Spiel, weil ich warne.

Kaiaphas hat uns gesagt, dass du vor vierzehn Jahren schuldig befunden wurdest, den Erzdämon Beelzebub in dir zu haben, und du wurdest zum Tode durch Steinigung verurteilt. Damals bist du rätselhaft entkommen und hast seither in K’far Nahum gelebt. Jetzt aber kommst du nach Yerushalayim, predigst und forderst den Sanhedrin heraus. Kaiaphas behauptet, du hättest wiederholt öffentlich die Pharisäer und Schriftgelehrten beleidigt und sie zu deinen zornigen Feinden gemacht.

Es gibt viele unter uns, die dich lieben, Joshua, so wie ich; doch wer kann es wagen, gegen Kaiaphas zu sein? Du bewegst dich in Yerushalayim frei, du gehst sogar in israelitische Quartiere, du heilst und wirkst Wunder, doch stellt das nicht eine Herausforderung für Kaiaphas dar? Selbstverständlich wird er es nicht riskieren, seine Vollstrecker anzuweisen, dich am helllichten Tage zu verhaften, weil so viel Israeliten dir nachfolgen. Aber Kaiaphas ist ein listiger Mann und sehr schlau. Er wird einen Weg finden, dich des Nachts zu verhaften und dich augenblicklich vor den Sanhedrin zu bringen, wo du der Verletzung des Mosaischen Gesetzes beschuldigt und zum Tode durch Kreuzigung verurteilt wirst.

Am frühen Morgen wird er dich vor den römischen Statthalter bringen, um seine Genehmigung für den Entscheid des Sanhedrin zu erwirken. Er wird dem Statthalter sagen, dass der Sanhedrin den Beschluss bereits gefasst hat. Am gleichen Tage wird er dich kreuzigen. Und ich glaube, dass das alles sehr bald geschehen wird. Joshua, ich befürchte, du bist in Lebensgefahr!“

Während dieses ganzen Berichts litt Ephraim so große Qualen, dass er sie nicht verbergen konnte. Der Gott-Mensch blieb ruhig. Er sagte zu dem Israeliten: „Ehrwürdiger Rayis Rabbi Gershom, ich weiß, was du fühlst. Und ich kenne das Urteil, das der Sanhedrin über mich gefällt hat. Alles ist so, wie du gesagt hast; Am Tag vor dem Passahfest, während ihr alle fleißig beim Vorbereiten, des ungesäuerten Brotes seid, wird der Sanhedrin mich in der Nacht verhaften lassen.

Einer meiner Apostel, der seine eigenen Pläne hat, wird die Häscher zu mir führen. In der gleichen Nacht werde ich überführt und zum Tode verurteilt. Früh am nächsten Tag werden Kaiaphas und die Richter mich vor den römischen Statthalter bringen, und der wird mich zum König Herodes schicken. Und ehe die Leute erfahren, was geschieht, werden die Urteilsvollstrecker des Sanhedrin unter dem Schutze römischer Soldaten meinen Körper kreuzigen. Das alles wird geschehen.“

(Seite172) Und auf Aramäisch sagte Joshua: (Handschrift von Daskalos)

Wehe der Welt um der Ärgernisse willen! Wohl müssen die Ärgernisse kommen; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt (Matthäus 18:7)

 „Rayis Rabbi Gershom“, fuhr Joshua fort, „ich danke dir, dass du heute Abend zu uns gekommen bist. Ich weiß, dass am Tag vor dem Passahfest der Sanhedrin meinen Körper töten wird. Ich werde nichts unternehmen, um zu fliehen. Für diese Stunde bin ich in die Welt gekommen, zum Beweis, dass der grobstoffliche Körper eines Menschen nicht das Geist-Seelen-Ego-Selbst ist. Das ist alles, was ich dir jetzt sagen kann. Du würdest es nicht verstehen.

Doch ich kann dir versichern, lieber Rayis Rabbi, dass dein gutes Herz dich retten wird. Ich bitte dich, zu allen Menschen gut zu sein, immer, denn alle Menschen, sogar wenn sie Illusionen haben, sind Kinder Alahas. Du wirst noch viele Jahre leben, lange genug, um zu sehen, wohin die Blindheit der Sanhedrin führt. Du wirst die Ruinen von Yerushalayim sehen, das Abschlachten der Menge und der Zerfall des Tempels von Salomon.“

Und der Gott-Mensch sagte auf Aramäisch:   (Handschrift von Daskalos)

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde ererben. (Matthäus 5:5)

Rayis Rabbi Gershom verließ das Essener Bistum in großer Verwirrung; er war unfähig zu erfassen, was der Gott-Mensch meinte, und sein gutes Herz wurde von Schmerz und Trauer gequält.

Nach dem Frühstück suchte Joshua am nächsten Morgen Eliezar, Maria und Maria in Bethania auf. Ephraim begleitete ihn. Sie bewogen die Geschwister, aus Palästina zu flüchten. Ephraim würde das Nötige veranlassen, dass sie zu ihrem Onkel Simeon, dem Bruder ihrer Mutter, gelangen würden. Simeon lebte mit seiner Familie in der Stadt Larnaca auf der Insel Kittim (Zypern). Kittim oder Kopfer war ein Teil des römischen Reiches und lag westlich von Phönizien. Viele Essener, griechisch sprechende Israeliten, wenige andere Israeliten, einige Griechen und einige Römer lebten dort in Frieden. Der römische Statthalter der Insel, Quintus Maximilano, war ein weiser und beliebter Herrscher.

Noch an diesem Tag reisten Eliezar, Martha und Maria nach Sidon in Phönizien und segelten von dort nach Zypern, wo sie den Rest ihres Lebens als treue und eifrige Christen verbrachten.