Was meint ihr? Wenn ein Mann hundert Schafe hat, und es verirrt sich eins von ihnen – lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht und sucht das verirrte? Und glückt es ihm, es zu finden – wahr ist’s, ich sage euch: Er freut sich an ihm mehr als an den neunundneunzig, die sich nicht verirrten. Ebenso ist es nicht der Wille von eurem Vater – dem in den Himmeln – dass eines dieser Kleinen zugrunde geht. (Matthäus 18:12–14)
Diese Worte halfen mir durch die Depression, in die ich mit 39 Jahren fiel, weil ich einfach diesen Weltenschmerz nicht mehr ertragen konnte. Geboren in Budapest, mit viereinhalb Jahren in die Schweiz gezogen und bei Pflegeeltern aufgewachsen, war ich ein Niemand. Ich hatte Ungerechtigkeiten und sinnlose Kriege gesehen. Die Bosheiten der Menschen in ihrem Umgang miteinander konnte ich kaum mehr ertragen.
Ich war ein Vakuum. Ein „dahergelaufenes Ungarli“, wie meine Tante sagte, ohne Heimat – ohne Wurzeln. Die Worte meiner Tante sind mir bis heute in Erinnerung: „Du musst froh und dankbar sein, dass du in der Schweiz sein darfst. Das ist nicht selbstverständlich!“ Ich weiß nicht, ob ich es für selbstverständlich hielt oder für etwas Normales, einfach weil ich jeden Tag in dieser Situation war. Ich hatte es mir gewünscht, in die Schweiz zu kommen, und mein Wunsch hat sich erfüllt. Aber am 2. Weltkrieg konnte ich keine Ursache und keinen Sinn erkennen, schon gar keine Schuld. Trotzdem war der Krieg der Grund, warum ich meine Eltern nie mehr sehen würde, und in einem Land aufwuchs, das nicht meine Heimat war. In meinem Leben bin ich seelisch durch die Hölle gegangen und froh darüber. Dieser manchmal fast unerträgliche Schmerz zerriss mir im wahrsten Sinn des Wortes das Herz. Doch ich fand in ihm meine Antriebskraft. Noch dazu war er mein Spiegel – durch ihn konnte ich das Leben besser verstehen. Auf der Suche nach Heimat, Liebe und Geborgenheit durfte ich viele „Wunder“ erleben. Zumindest hielt ich zu der Zeit bestimmte Phänomene für Wunder. Später sollte ich erkennen, dass es nur ein einziges Wunder gibt und das ist DAS LEBEN selbst.
Phänomene des Lebens erstaunten mich – ich war auf der Suche nach DER WAHRHEIT. Mit evangelischen Pfarrherren, katholischen Priestern und Leitern von Priesterseminaren hatte ich viele Gespräche. Ich wollte es wissen: Wo ist DIE WAHRHEIT zu finden? Ich hatte die vier Evangelien des Neuen Testaments studiert und trat mit vielen offenen Fragen vor diese Experten. Doch keiner von ihnen konnte mir eine befriedigende Antwort geben. Etwas Nichtssagendes vernahm ich von allen: „Du musst nur glauben!“ Aber ich wollte nicht einfach glauben, ich wollte Wissen und Erkennen! „Die Wahrheit wird Euch befreien!“ Ja, aber was ist DIE WAHRHEIT?
In der Parabel des verirrten Schafs fand ich Trost. Ich erkannte damals, dass auch ich ein verirrtes Schaf war. Ich bin kein Herdenmensch, niemand mit Schwarm verhalten. Viel eher war ich ein Außenseiter oder Anders… ich fühlte mich einfach nicht von dieser Welt. Wo ist also mein Hirte? Noch dazu einer, der sich darüber freut, mich wiederzufinden. Jemand, der mich genauso liebt wie alle anderen. Jemand, der mich nicht dafür bestraft, wenn ich mich verirre. Jemand, der mich in meiner größten Not erhört. Jemand, der nicht beleidigt ist, wenn man ihn nicht sieht. Jemand, der mir auf meine in die Welt hinaus geschmetterte Frage antwortet: „Sage mir, was soll das Leben auf dieser gottverlassenen Welt?“ Die Antwort kann nur von EINEM kommen.
Als ich diese Parabel reflektiert hatte, wurde es mir ganz klar: (Wieso? Siehe: über mich) Der große Hirte ist die Absolute Wirklichkeit. Es ist das Wirken Gottes, nämlich die vollkommene LIEBE. Dieses Wirken konnte ich in meiner Kindheit noch sehen und spüren. Dann aber verirrte ich mich und konnte plötzlich nicht mehr verstehen, was der Sinn in all dem Leid sein sollte. Mein Verhalten war nicht immer edel und im Sinne der absoluten Liebe. Dafür schämte ich mich nur allzu oft, machte mir Vorwürfe, wenn mein ungezügeltes ungarisches Temperament wieder einmal mit mir durchbrach! Durch die Parabel weiß ich nun: Kein einziger Mensch ist verloren! Die ewige Verdammnis, wie Priester sie lehren, ist nur in den Köpfen der Gelehrten. Es ist ihr Machtspiel, ein falsch verstandenes Christentum! Doch nicht mit mir! Wenn ich genau hinsehe, hinhöre und hin fühle, kann ich DIESE BEDINGUNGSLOSE LIEBE, die Gott ist – überall sehen und spüren – und zwar jeden Tag… jeden Moment… sofern ich mich nicht im alltäglichen verliere… Herr der Liebe und der Gnade, erleuchte unseren Geist, dass wir DICH, DIE WAHRHEIT erkennen dürfen! Über mich